Ein Beitrag von Torsten Demuth
Das Thema Insektensterben, besser Insektenrückgang oder Insektenschwund, ist zurzeit allgegenwärtig. Das jüngst mit dem erstaunlichen Ergebnis von 18,4% abgeschlossene Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern hat die Sechsbeiner medial wieder in die Erste Reihe katapultiert.
Am 16. Februar lud der Nabu Nordrhein-Westfalen zur "2. Tagung zum Insektenrückgang". Da einige interessante Vorträge angekündigt waren, wollte ich mir die Veranstaltung in Hinblick auf unser Biodiversitätsmonitoring nicht entgehen lassen.
Prof. Dr. Norbert Hölzel vom Institut für Landschaftsökologie, dem Gastgeber der Tagung, kürzt seine Begrüßung ein wenig ab und gleicht so den etwas verzögerten Start der Veranstaltung aus.
Richtig los geht es dann mit dem Vortrag "Herausforderung Insektenschutz" von Josef Tumbrinck, dem Vorsitzenden des Nabu NRW.
Mit Blick auf das unerwartet erfolgreiche Volksbegehren in Bayern erörtert Tumbrinck die Möglichkeit, ein solches in angepasster Form auch in Nordrhein-Westfalen zu initiieren. In jedem Fall solle aber zuvor das Gespräch mit Vertretern der Landwirtschaft gesucht werden. Nach kurzer Zusammenfassung der "Krefelder Studie" folgt der Schwenk zu den aktuellen Problemen, die eine wirkliche Beurteilung der Lage erschweren.
Für viele Ordnungen gibt es kaum kundige Taxonomen, die Vielzahl der unterschiedlichsten kleinen Fluginsekten zum Beispiel ist selbst in Deutschland kaum zu fassen. In den weitgehend standardisierten und durchgetakteten Studiengängen unserer Hochschulen fehlt schlicht die Möglichkeit der entsprechenden Ausbildung.
Diese Problematik spiegeln auch die Roten Listen wieder. Von den aktuell bei uns bekannten >33.000 Arten werden in diesen gerade einmal 7.802 berücksichtigt. Es folgte ein Forderungskatalog, "Was muss passieren?". Während vieles schlüssig und notwendig erscheint, riechen andere Punkte ein wenig nach Geschäftsmodell, z. B. die vorgeschlagene, nicht näher spezifizierte, Zertifizierung von Bürgerforschern.
Im zweiten Fachbeitrag zur Tagung "Das Insektensterben - Ein internationales Problem" beleuchtete Prof. Dr. Axel Hochkirch zunächst die globalen Zusammenhänge rund um das Tagungsthema. So sind Schätzungen zufolge überhaupt erst 10 - 20% der auf der Erde vorkommenden Arten bekannt und wissenschaftlich beschrieben. Erschreckend auch die Tatsache, dass global JEDEN TAG 30 - 100 Arten unwiederbringlich aussterben.
57% aller in der europäischen Roten Liste aufgeführten Arten sind - mangels Daten - unbewertet. Noch immer haben wir erhebliche Wissenslücken ob der Zusammenhänge des Lebens in unserer heimischen Natur. So werden aktionistisch Blühstreifen gegen das "Bienensterben" angelegt, ohne deren Sinn ernsthaft zu prüfen. Als Beispiel wird die Aussaat eines solchen in einem Weinanbaugebiet angeführt, wobei seltene Lebensräume für hochspezialisierte Arten solcher Habitate zerstört wurden.
Aus Sicht des Referenten ist die transdisziplinäre Forschung zu fördern, sie kann wichtige Impulse für effektivere Forschungsverfahren liefern. Bei der Umsetzung von Maßnahmen in der Landschaft sollte nie auf eine adaptive Erfolgskontrolle verzichtet werden, um den Erfolg (oder Misserfolg) feststellen und dokumentieren zu können.
Der Reigen der Fachreferenten wurde komplettiert durch Dr. Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld mit seinem Vortrag "Erhaltung der Biodiversität am Beispiel der Insekten als artenreichster Tierklasse".
Dr. Sorg berichtete aus seinem über Jahrzehnte aufgebauten Wissensfundus im Insekten-monitoring mittels Malaisefallen. Ein besonderes Defizit beim Einsatz von Fallensystemen sieht er in der fehlenden Standardisierung und meist mangelhaften Dokumentation der Fallen, deren Aufbaus und der Auswertung genutzten Verfahren und Techniken.
Weiter wird die Umgebung der Fallen oft vernachlässigt. Die Vegetation, Totholz, offene Bodenstellen und Steinhaufen zum Beispiel haben großen Einfluss auf das Fangergebnis, sowohl was die Biomasse betrifft, als auch beim erfassten Artenspektrum. Auch Dung von Nutztieren kann hier eine große Rolle spielen. Eine gründliche Kartierung ist hier notwendig, um die Untersuchungsergebnisse richtig deuten zu können. Hilfreich sind hierbei z. B. auch Luftaufnahmen, wie sie heute mittels Drohnen leicht gefertigt werden können.
Da die Menge an Material beim Monitoring mittels Fallensystemen meist nicht komplett bearbeitet werden kann, empfiehlt Sorg die vorrangige Auswertung der artenreichsten Ordnungen, also der Diptera (Zweiflügler) und Hymenoptera (Hautflügler), welche in Deutschland mit zusammen über 18.500 Arten vertreten sind und somit über die Hälfte unserer bekannten Insektenarten stellen. So erhält man einen deutlich tieferen Einblick in den Zustand der hiesigen Biodiversität, als dies etwa bei der Auswertung von besser überschaubaren Ordnungen der Fall wäre. Da es für die besonders artenreichen Ordnungen an Fachleuten mangelt, ist die parallele Nutzung von genomischen Methoden wie dem DNA-Metabarcoding unumgänglich.
Mit Blick auf die landwirtschaftliche Praxis mahnt Sorg die dringend notwendige Reform der Dokumentationspflichten zum Düngemittel- und Pestizideinsatz an. Die Verpflichtung, den Einsatz von Agrochemie flächenscharf zu dokumentieren besteht zwar schon heute, allerdings dezentral und mit einer nur dreijährigen Aufbewahrungspflicht. Das heißt, dass die Daten von Betrieben, welche innerhalb dieser Frist nicht kontrolliert werden, in der Regel vernichtet werden. Nötig wäre hier ein Online-Meldesystem, in dem die Daten flächenscharf dauerhaft dokumentiert werden. Diese müssen der Forschung zur Verfügung gestellt werden, um bestehende Zusammenhänge zwischen den Einsatz schädlicher Chemikalien auf unseren Feldern und dem Rückgang der Biodiversität genauer untersuchen und verstehen zu können.
Um den engen Zeitplan halten zu können, wurden zu den Fachvorträgen keine Fragen zugelassen. Hierzu wurde auf die Pausen als Gesprächszeit verwiesen, in der Praxis stellte sich diese Möglichkeit jedoch, wie angesichts der Teilnehmerzahl von etwa 200 Personen bei drei Fachreferenten nicht anders zu erwarten, als unrealistisch heraus.
Nach den Fachvorträgen folgte ein gut halbstündiger Beitrag "Aktionsprogramm Insektenschutz" der Bundesumweltministerin Schulze mit der Möglichkeit einiger Fragen. Nachmittags wurden verschiedene Workshops angeboten, deren Ergebnisse am Ende zusammengetragen und präsentiert wurden.
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