Ein Beitrag von Simon Hinrichs
Nach der Mauser, bzw. sobald der Nachwuchs flügge ist, verlassen die meisten Hamburger Graugänse die Stadt ab Mitte Juni wieder. Dabei gibt es keinen einheitlichen „Hamburger Weg“! Die einzelnen Paare und Familien haben jeweils ihre eigene Zugstrategie und ziehen in alle möglichen Himmelsrichtungen, auch abhängig davon, was sie als Jungvögel von ihren Eltern gelernt haben.
Wie schön, wenn man morgens gegen den „Strom“ stadtauswärts fahren kann. Denn morgens um 7 Uhr machen die Elbbrücken meist keinen Spaß, wenn man (mit einem Auto) nach Hamburg rein fährt. Heute sollten Gänserastplätze östlich von Hamburg „abgeklappert“ und auf Hamburger Graugänse kontrolliert werden.
Dank Spenden sind solche Exkursionen zu den umliegenden Rastplätzen möglich. Denn nach unseren Beringungen wollen wir ja auch wissen, wo sich die Graugänse den Rest des Jahres aufhalten.
Den Berufsverkehr hinter mir gelassen fand ich dann gegen 8 Uhr rund 40 Graugänse auf einem Stoppelfeld östlich von Hohnstorf (Elbe), das liegt südlich von Lauenburg.
Interessanterweise entdeckte ich in dem Trupp eine Familie aus dem Hamburger Stadtpark. Es handelte sich um einen alleinerziehenden Vater. Geschlüpft war der Nachwuchs in der Nähe vom Goldbekhaus in Winterhude. Seine Partnerin war seit Anfang Mai verschollen und ließ ihn mit 9 Gösseln zurück. Todesursache unklar (keine Mutter verlässt freiwillig ihre Familie)! Die Mutter wurde uns, trotz ihrer Beringung, leider nicht gemeldet.
Erstaunlicherweise „blühte“ der sechsjährige Ganter dann in seiner Rolle als alleinerziehender Vater richtig auf und stieg plötzlich im Rang auf. Er setzte sich nun gegen Kontrahenten durch, von denen er die letzten Jahre sonst immer „auf den Deckel“ bekommen hatte. Sogar 7 seiner Gössel wurden flügge!
Ein großes Problem beim Verschwinden von Müttern ist, dass Väter nicht hudern (die Gössel wärmen) und diese dann häufig unterkühlen. Mit 8 Geschwistern, wie in diesem Fall, kann man allerdings sehr gut „kuscheln“ und sich so gegenseitig wärmen. Dies schien auch hier gut zu funktionieren.
Von den 7 flügge gewordenen Gösseln waren nach den ersten „Flugstunden“ noch 5 übrig, welche dann am 31. Juli in Reitbrook (Kleiner Brook) an der Dove-Elbe abgelesen wurden. Ungeübte „Flieger“ stoßen öfters mit Hindernissen wie Brücken, Hochspannungsleitungen etc. zusammen und verunglücken dann häufig tödlich.
Am Morgen des 5. August entdeckte ich diese Familie also auf dem besagten Stoppelfeld hinter Hohnstorf beim „Frühstück“; alle 5 Jungvögel waren noch bei ihrem Vater; also keine weiteren Verluste.
Eine sehr spannende Beobachtung, denn bisher wurde der Ganter außerhalb von Hamburg, wenn überhaupt, nur westlich von Hamburg an der Unterelbe gesehen. Allerdings machte er sich außerhalb der Brutzeit schon immer sehr rar und wurde oft monatelang nicht gemeldet. Wird jetzt ohne Partnerin eine völlig andere Lebensweise eingeschlagen!?
Meine Tour ging weiter in Richtung Niedersächsische Elbtalaue zum Gebiet „Habekost“, einem sehr beliebten Rastplatz bei Graugänsen nahe der Elbe südwestlich von Boizenburg. Nach und nach trudelten hier die Gänse von ihren morgendlichen „Frühstücksplätzen“ ein, um den Tag hier auf und am See zu verbringen.
Wenn die Gänse am Ufer stehen, kann man wunderbar Ringe an den Beinen ablesen und dadurch etwas über die Herkunft der rund 1.000 Graugänse erfahren. Im letzten Jahr konnte ich hier erstmals Hamburger Graugänse nachweisen, vermutlich rasten sie hier aber schon viel länger, nur hat sie bisher Niemand abgelesen oder gemeldet. Daher bin ich auch in diesem Jahr wieder hier und schaue welche Hamburger ich hier so alles antreffe.
Im Laufe des Vormittags wurden es immer mehr, bis irgendwann die 1.000er Marke „geknackt“ wurde. Immer mal wieder wurden diese von überfliegenden Seeadlern aufgescheucht, konkrete Angriffe blieben heute aber aus. Auch ein junges Wildschwein brachte die Truppe nur kurzzeitig aus der Ruhe. Später lag es dann in seiner Suhle am Ufer und die Gänse standen nur wenige Meter daneben.
Und dann tauchte plötzlich tatsächlich der alleinerziehende Vater am Himmel auf setzte mit rund 400 Artgenossen zum Landemanöver an! Die Luftlinie zwischen „Frühstück“ und Tageseinstand betrugen 8 km.
Interessanterweise wurde von den 20 heute abgelesen Graugänsen nur eine bereits im letzten Jahr hier gesehen! Die anderen 19 Gänse wurden hier also zum ersten Mal nachgewiesen! Die älteste heute entdeckte Gans ist bereits 18 Jahre alt und stammt ursprünglich vom Öjendorfer See im Osten Hamburgs.
Neben weiteren Hamburger Ringträgern tauchte auch eine Familie von der Binnenalster dort auf; für den Nachwuchs jedes Jahr ein wahrer „Kulturschock“, denn bisher kannten sie ja nur das Hamburger Zentrum. Auch müssen sie lernen, Menschen außerhalb von Parks zu meiden, denn dort wird oft scharf geschossen, sprich gejagt. Daher sind die Graugänse außerhalb der Parks wesentlich scheuer. Gans anpassungsfähig!
Auf dem Rückweg konnte ich dann noch einen Schwung Hamburger Gänse am nördlichen Ende des Elbe-Seiten-Kanals entdecken, darunter auch eine Alsterdorfer Familie.
Wir sind auf weitere Ablesungen von den verschiedenen Rastplätzen gespannt. Wo „stecken“ jetzt die vielen Hamburger Graugänse? Vielleicht gelingen Euch ja bei der nächsten Tour an Elbe, Ostsee oder Nordsee ja ebenfalls „Gans“ spannende Ablesungen von Graugänsen.
Eure Ablesungen könnt Ihr hier direkt über das Kontaktformular an unser Projekt „Gans Hamburg“ melden.
Wir freuen uns auf Meldungen!
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