Ein Beitrag von Simon Hinrichs
Ganter „39V“ schlüpfte im Jahr 2017 mit seinen drei Schwestern auf einer uralten Eiche auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Einzelne Graugänse brüten regelmäßig auf Bäumen, meist in verlassenen Greifvogelhorsten oder in Astgabeln. Dort sind sie sicher vor Fressfeinden wie Füchsen, Wildschweinen etc. und vor konkurrierenden Artgenossen.
Unterhalb der Bäume liegt meist weiches Laub, sodass die noch federleichten Gössel (Küken) in der Regel heil unten ankommen. Die Mutter fliegt unter das Nest und lockt ihren Nachwuchs runter. Nach und nach hüpft dieser dann aus teils beachtlicher Höhe hinunter. Sobald alle vollzählig sind, führen die Eltern ihre Nachkommen zum nächsten Gewässer.
Nach dem Flüggewerden und dem Wegzug aus der Stadt war er mit seiner Familie Mitte Juli knapp zwei Wochen recht "zeigefreudig" in der Wedeler Marsch und wurde dort gleich mehrfach abgelesen. Dann wurde diese Familie nur noch einmal Ende September abgelesen, bevor sie im Herbst verschwand.
Erst im Frühjahr 2018 tauchten nach und nach alle Familienmitglieder wieder in Hamburg auf. Leider verschwand die Mutter Anfang März; möglicherweise wurde sie während der Brut gerissen. Doch der Vater fand noch in derselben Brutsaison kurzfristig eine neue Partnerin und zog mit ihr zwei Jungvögel groß.
Der Herbst 2018 war recht interessant aus familienbiografischer Sicht. Während eine Schwester im Oktober in der Wedeler Marsch beobachtet wurde, entdeckte ich eine andere bei Elbstorf südlich von Altengamme und die dritte Schwester rastete derweilen in Lübeck im NSG Schellbruch.
Auch in 2019 führte der Vater wieder zwei Jungvögel, bevor er dann, kurz vor dem Flüggewerden des Nachwuchses, unnötigerweise auf dem Friedhof überfahren wurde; bei Tempo 30!
Von all diesen dramatischen Verlusten hat Ganter „39V“ ziemlich wahrscheinlich gar nichts mitbekommen. Während seine drei Schwestern auch im Frühjahr 2019 alle wieder nach Hamburg zurückkehrten, blieb er verschollen. Das letzte Mal wurde er am 14. Juli 2018 in der Wedeler Marsch (Giesensand) abgelesen.
Erst am 17. Dezember 2019 bekam ich dann folgende spannende Info: Ganter „39V“ wurde in Spanien im "Parque Nacional de Doñana", südwestlich von Sevilla am Mittelmeer fotografiert; über 2.200 km von seinem "zu Hause" (dem Ohlsdorfer Friedhof) entfernt!
Das ist die erste Lebendablesung einer in Hamburger Graugans aus Spanien, denn alle bisherigen Fernfunde aus Spanien und Frankreich waren Abschüsse von Jägern.
Es besteht also die Möglichkeit, dass Ganter „39V“ im nächsten Jahr in seiner neuen Heimat oder irgendwo zwischendurch auf dem Zug abgelesen wird; wir sind gespannt!
Graugänse sind auch deswegen so spannend, da sie extreme Unterschiede in ihrem Zugverhalten zeigen. Während die einen sich im Winter bei den Alsterschwänen am Eppendorfer Mühlenteich „durchfuttern“, ziehen andere im Laufe eines Jahres etliche Kilometer quer durch Europa.
Man kann daher nicht von "der Hamburger Graugans" sprechen, denn jede Gans ist ein Individuum mit einer ganz persönlichen Zugstrategie und einem ganz individuellem Verhalten.
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Britta Müller (Sonntag, 12 Januar 2020 10:23)
Das ist ja wirklich sehr spannend! Ich hoffe, dass er noch lange lebt und fleißig abgelesen wird.
stekadeju@yahoo.de (Dienstag, 21 Januar 2020 06:11)
Ich bin Gärtner beim Friedhof Ohlsdorf bei Kapelle 13 und habe über die Brut auch schon ohne Platzangabe berichtet.
Auch schon in einem Bericht für denNDR.
Könnte ich diese interessanten Vorkommnisse auch dem Hamburger Wochenblatt und ggf dem NDR mitteilen?
Ich bitte sie um eine Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Polke