Ein Beitrag von Simon Hinrichs
Der Beginn: Kuriose Familiensituationen
Ungewöhnlich früh um den 31. März 2019 schlüpfte Ganter „75B“ mit seinen acht Geschwistern in Hamburg-Uhlenhorst am Hofwegkanal. Meistens schlüpft der Graugansnachwuchs erst zwischen Mitte und Ende April, je nach Witterung. Beide Eltern sind beringt und hatten auch im letzten Jahr wieder mal Bruterfolg.
Aufgewachsen ist Ganter „75B“ zwischen dem Feenteich, Schwanenwik an der Außenalster und dem Kuhmühlenteich. Erstaunlicherweise wurden acht Jungvögel flügge, was ein bemerkenswert guter Bruterfolg ist, denn in der Regel haben die Grauganspaare in Hamburg einen Verlust von ca. 50 % bis zum Flüggewerden der Jungvögel. Aber auch danach verenden nochmal einige junge Gänse bei ihren ersten Flugversuchen, wenn sie beispielsweise gegen Brücken, Hochspannungsleitungen oder Kräne fliegen.
Alle acht Jungvögel konnten damals von uns beringt werden. Vor allem die im Jahresverlauf früher geschlüpften Graugänse haben wesentlich bessere Überlebenschancen, weil sie von den proteinreichen, frisch aufwachsenden Pflanzen profitieren und dann noch nicht so viel Konkurrenz und Freizeitdruck auf den wenigen Nahrungsflächen herrscht. Später wachsende Gräser haben beispielsweise viel weniger Energie und je wärmer es wird desto stärker wird der Freizeitdruck an Land und auf dem Wasser, was häufig zu großen Verlusten bei spät geschlüpften Gösseln (Küken) führt.
Gans kurios – Vater verpasst Mauserbeginn
War es das ungewöhnlich frühe Schlupfdatum oder einfach alte Gewohnheit?
Normalerweise beginnen die Eltern mit der Mauser wenn der Nachwuchs vier bis fünf Wochen alt ist, damit sie dann vier Wochen später wieder flugfähig sind wenn die Jungvögel flügge werden, so
können sie dann gemeinsam losfliegen.
Irgendwie hatte der Vater dies versäumt und wie seine Artgenossen erst Mitte Mai mit der Mauser begonnen. Dies führte zu komische Szenen, denn als die Mutter mit den Jungvögeln erste Flugversuche
unternahm, flatterte der Vater „hilflos“ hinterher, denn er konnte ja aufgrund der Mauser nicht fliegen.
So blieb er nun häufig abseits seiner Familie, während diese bereits erste Runden über die Außenalster drehte.
Mutter hat „keine Lust“ zu warten
Aber der Drang den Nachwuchs raus aus der Stadt zu den saftigen Wiesen in den Elbmarschen zu führen war offenbar stärker als die Nähe zum Partner. Jedenfalls zog die Mutter dann Mitte Juni mit ihren acht Jungvögeln los und tauchte Ende Juni bei Kollmar (Kreis Steinburg) an der Elbe auf.
Erfolgreiche Mütter ohne Partner sind bei Gantern (männlichen Gänsen) extrem beliebt und so dauerte es nicht lange bis ein neuer Ganter die Familie führte. Dies war kein Unbekannter, denn der Ganter „CZ4“ kannte sie bereits einige Jahre, da die beiden bereits mehrfach parallel ihren Nachwuchs am Kuhmühlenteich aufgezogen haben. Da Ganter „CZ4“ damals Single und die Mutter ebenfalls ohne Partner unterwegs war, nutzte er seine Chance und führte ab da die Familie.
Und was macht der zurückgebliebene Vater an der Alster?
Ende Juni war auch der fertig mit der Mauser und auch er fand eine Single-Mutter mit Nachwuchs, wo er sofort die Vaterrolle übernahm. Ihre drei Jungvögel waren recht spät geschlüpft und erst Anfang Juli flügge.
Der Vater verließ Hamburg mit seiner neuen Familie ebenfalls in Richtung Westen und wurde dann Mitte Juli in der Wedeler Marsch (Kreis Pinneberg) abgelesen, vier Tage später waren sie dann auch bei Kollmar.
Das große Wiedersehen – Aber gar nicht vollständig
Auch Anfang August war der Vater mit seiner neuen Familie bei Kollmar. Mitte August konnten wir ihn dort dann plötzlich wieder mit seiner langjährigen Partnerin beobachten, mit welcher er am Hofwegkanal gebrütet hatte, aber von den acht Jungvögeln fehlte weit und breit jede Spur!
Die Jungvögel waren nämlich noch merkwürdigerweise bei ihrem Stiefvater geblieben. Dieser Verband löste sich aber Ende August auf und die acht Geschwister waren plötzlich verschollen.
Er glänzt durch Abwesenheit
Erstaunlicherweise kehrten 2020 alle acht Geschwister zwischen März und Mai nach Hamburg zurück; sie waren seit September ohne elterliche Führung unterwegs und sieben Monate lang hat sie Niemand abgelesen bzw. gemeldet! Möglicherweise konnten sie als große Geschwisterschaar eine gewisse Rangposition erreichen und dadurch ihre Überlebenschancen steigern.
Ende April 2020 wurde Ganter „75B“ erstmals wieder gemeldet, er wurde in Hamburg-Reitbrook entdeckt. Mitte Mai erschien er dann wieder in seiner Heimat an der Alster um dann am traditionellen Mauserplatz am Schwanenwik und am Kuhmühlenteich seine Federn zu erneuern.
Wie der Großteil der Graugänse verließ auch er Mitte Juni die Stadt wieder und war anschließend rund acht Monate verschollen, bevor er am 13. Februar 2021 am Eppendorfer Mühlenteich auftauchte.
Im März und April 2021 wurde er dann am Appelhoffweiher in Steilshoop abgelesen. Er war dort nicht allein, sondern hatte sich mit einer unberingten Gans verpaart. Er hat sich also dieser Steilshooper Population angeschlossen. Die Mauser verbrachte er wieder „zu Hause“ zwischen Schwanenwik (Außenalster) und Kuhmühlenteich.
Wieder war er rund acht Monate verschollen. Am 14. Februar 2022 wurde er dann wieder in seiner neuen Heimat am Appelhoffweiher abgelesen, gemausert hat das Paar zwischen Mitte Mai und Mitte Juni wie zuvor an der Alster.
Danach traditionelle „Funkstille“. Völlig unerwartet wurde Ganter „75B“ dann am 9. Dezember 2022 am Eisloch am Schwanenwik abgelesen, allerdings ohne seine Partnerin! Da diese ja nicht beringt war, haben wir keine Informationen über ihren Verbleib.
Eine Neue in Dänemark!
Noch überraschender erhielten wir am 7. Februar 2023 eine Meldung aus Dänemark. Ganter „75B“ wurde auf der Insel Fünen in der Region Süddänemark fotografiert! Passenderweise heißt der Ort „Ringen“. Aber dort war er nicht allein, denn an seiner Seite graste eine Gans mit einem Metallring der Vogelwarte Helgoland am rechten Bein; sie wurde also in Deutschland beringt.
Wer ist sie? Leider konnte sie dort nicht abgelesen werden, aber sobald das Paar wieder in Hamburg ist, werden wir versuchen ihre Ringnummer zu entziffern.
Möglicherweise war Ganter „75B“ zuvor auch schon öfters in Dänemark und wurde nur nicht abgelesen. Viele Hamburger Graugänse sind zwischen Juli und Februar oft monatelang verschollen, bzw. ihre Ringe werden nicht abgelesen und gemeldet.
Es bleibt spannend und jedes Jahr erfahren wir wieder ein bisschen mehr über diese interessanten Vögel.
Gans spannend: Die Auflösung!
Am 11. März wurde das Paar erstmals wieder gemeldet. Die beiden grasten abends an der Liebensinsel im Hamburger Stadtpark.
Dort konnte dann auch endlich der Metallring der Partnerin abgelesen werden. Sie ist im Jahr 2020 in Winterhude am Mühlenkampkanal geschlüpft und im Stadtpark aufgewachsen. Seit 2021 war sie mit einem unberingten Ganter verpaart. Nachdem sie die Stadt im Juni diesen Jahres nach der Mauser verlassen hatte, wurde sie zwei Mal Ende September mit ihrem Partner im Stadtpark abgelesen, bevor sie wieder verschwand.
Wo sie und Ganter „75B“ sich getroffen und kennen gelernt haben ist nicht bekannt, denn im Dezember war er ja noch alleine an der Außenalster. Wir sind „Gans“ gespannt wie es weitergeht!
Kommentar schreiben
Christine Kirchhoff (Samstag, 18 Februar 2023 09:41)
Sehr interessant, über die Entwicklung und den Verbleib der Graugänse zu lesen. Ich bin immer wieder erstaunt, wo sie überall auftauchen. Eine spannende Sache.
Britta Müller (Montag, 20 Februar 2023 09:02)
Sehr spannende Berichte, leider sind unsere Gänse viel zu wenig beringt, um solch umfassende Beobachtungen zu dokumentieren. Metallringe sind auf Entfernung kaum ablesbar, die Farbringe sind viel besser.
Grüße aus dem Ruhrgebiet!
Eddie Fritze (Samstag, 11 März 2023 19:54)
Hallo Simon,
Vielen Dank für die interessante Bilder von der Schwanenwik/Aussenalster sowie der Steilshooper Ganter mit Blau 75B
Schade aber, dass die Partnerin mit Alu-ring nicht abgelesen wurde. Aber hoffentlich findest Du oder Deine Kollegen
das Paar wieder irgendwo im Hamburger Raum, hoffentlich dieses Jahr im Sommer.
Viel Erfolg mit Deine Graugans-Studien, und alles gute, Eddie.